Die Einstufung von Titandioxid als potenziell krebserzeugend beim Einatmen hat in den letzten Jahren zu intensiven wissenschaftlichen, rechtlichen und politischen Auseinandersetzungen geführt. Als weit verbreiteter Weißpigmentstoff in Farben, Lacken, Kosmetika und Lebensmitteln steht Titandioxid im Zentrum eines komplexen Spannungsfeldes zwischen Verbraucherschutz, wissenschaftlicher Evidenz und wirtschaftlichen Interessen.
2022 erklärte das Gericht der europäischen Union (EuG) die Entscheidung wegen methodischer Mängel der herangezogenen Studien und Verstößen gegen die CLP-Verordnung ((EG) Nr. 1271/2008) für nichtig. Im August 2025 bestätigt der europäische Gerichtshof (EuGH) schließlich die Nichtigkeit der von der EU-Kommission im Jahr 2019 festgelegten Einstufung.
Die Grundlage für die frühere Einstufung von Titandioxid als „vermutlich krebserzeugend beim Einatmen“ waren Empfehlungen des Ausschusses für Risikobewertung (RAC) der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) aus dem Jahr 2017, ausgelöst durch einen Vorschlag Frankreichs. Diese Empfehlungen basierten vor allem auf tierexperimentellen Studien, in denen Lungenkrebs nach Inhalation hoher Dosen von lungengängigen TiO₂-Partikeln (< 10 μm) nachgewiesen wurde.
Im Oktober 2019 beschloss die EU-Kommission folgend eine Einstufung und Kennzeichnung von Titandioxid, wonach der Stoff in Pulverform – sofern mindestens 1 % der Partikel einen aerodynamischen Durchmesser von ≤10 µm aufweisen – als „vermutlich krebserzeugend beim Einatmen“ galt (Carc. 2, H351i).
Die Einstufung von Titandioxid als „vermutlich krebserzeugend beim Einatmen“ stieß auf erhebliche Gegenwehr aus verschiedenen Bereichen, insbesondere aus Industrie, Wissenschaft und Teilen der Politik. Die Kritik richtete sich vor allem gegen die wissenschaftliche Grundlage der Entscheidung sowie gegen deren weitreichende praktische und rechtliche Folgen.
Im Mittelpunkt der Kritik stand die Frage, ob die Einstufung toxikologisch gerechtfertigt war. Die zugrunde liegende Studie wurde als nicht auf den Menschen übertragbar angesehen, da die beobachteten Lungentumore auf eine physikalische Überlastung durch feine Partikel zurückzuführen seien, nicht auf eine spezifisch krebserzeugende Wirkung. Damit fehlte die für eine CLP-Einstufung notwendige intrinsische Gefährlichkeit des Stoffes. Die Industrie befürchtete zudem einen Präzedenzfall für andere Partikelstoffe.
In der Folge reichten zahlreiche Unternehmen und Verbände Klage beim EuG ein. Das Gericht gab den Klägern im November 2022 recht und erklärte die Einstufung für nichtig.
Daraufhin legten die EU-Kommission und Frankreich Berufung beim EuGH ein. Am 1. August 2025 wies der EuGH die Berufung zurück und bestätigte die Entscheidung des EuG. Das Gericht stellte fest, dass die Kommission bei der Bewertung einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe und die wissenschaftliche Grundlage für die Einstufung unzureichend gewesen sei.
Mit der Entscheidung des EuGH ist das Urteil unmittelbar rechtskräftig. Die ursprüngliche Einstufung von Titandioxid wird damit aufgehoben, und die damit verbundenen Kennzeichnungspflichten sind nicht mehr anzuwenden. Der entsprechende Eintrag in Anhang VI der CLP-Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 wird folglich gestrichen. Die Warnhinweise EUH 211 und EUH 212 können somit ab sofort entfallen. Für bereits gekennzeichnete Produkte gilt eine Übergangsfrist:
Bis zum 1. Februar 2027 müssen alle Etiketten aktualisiert und die EUH-Sätze entfernt werden. Diese Frist ergibt sich aus Artikel 30 der CLP-Verordnung, der bei Änderungen ohne Verschärfung eine 18-monatige Anpassungsfrist vorsieht.
Melissa Reibold | Gefahrstoffmanagement
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