Umweltschutz

Ammoniumnitrat – Düngemittel, Explosionen und Airbag-Skandal

Am 4. August 2020 schaute die Welt auf Beirut. Eine gewaltige Explosion zerstörte etliche Gebäude und nahm zahlreichen Menschen das Leben. Aber was war passiert? Es dauerte nicht lange, bis der Übeltäter identifiziert war. Tonnenweise Ammoniumnitrat – darüber waren sich Experten einig. Und dass so ein schreckliches Ereignis nie wieder passieren darf, darüber sind sich alle einig.

5 Min.

20.09.2020
Hafenterminal

Ammoniumnitrat – was ist das?

Ammoniumnitrat (NH4NO3) ist das weiße, geruchlose Salz aus Ammoniak und Salpetersäure. Überwiegend wird es als Hauptbestandteil von Düngemittel in der Landwirtschaft eingesetzt. Zudem kommt Ammoniumnitrat als gewerblicher Sprengstoff zum Einsatz. Laut ECHA werden jährlich zwischen 10 Mio. und 100 Mio. Tonnen Ammoniumnitrat in der Europäischen Union produziert und importiert.

Ammoniumnitrat im Hamburger Hafen?

Am 1. September veröffentlichte die Hamburger Bürgerschaft ein Dokument, in dem der Hamburger Senat Stellung zu Fragen der Linksfraktion nahm. Die Hauptfrage war: „Gefahrgüter in Hamburg: Welche Gefahren bestehen angesichts der Beiruter Erfahrungen?“ Ja, Ammoniumnitrat wird auch im Hamburger Hafen gelagert. Wo genau es gelagert wird, ist auch bekannt. Die Entfernung zur nächsten Wohnbebauung beträgt ca. 500 m. Aber wie viel Ammoniumnitrat nun tatsächlich gelagert wird, darüber liegen der zuständigen Behörde keine Erkenntnisse vor. Bekannt ist aber, dass seit Mai 2020 mehr als 7000 Tonnen geladen oder gelöscht wurden. In Beirut wurden ca. 2750 Tonnen gelagert.

Ammoniumnitrat als Treibmittel in Airbags

In der Vergangenheit wurde Ammoniumnitrat von einem mittlerweile insolventen japanischen Autozulieferer als Treibmittel in Airbags eingesetzt. Doch aufgrund der Empfindlichkeit gegenüber Feuchtigkeits- und Temperaturänderungen kam es weltweit zu tödlichen Unfällen und Verletzten durch explodierende Gasgeneratoren. Daraus folgte die größte Rückrufaktion der Industriegeschichte. Sie umfasste weltweit ca. 100 Mio. Airbags (allein in den USA wurden mindestens 70 Mio. Airbags zurückgerufen). Darunter waren auch deutsche Automobilhersteller. Ammoniumnitrat wird zwar bei der Produktion von Airbags nicht mehr eingesetzt, dafür kommen aber andere Explosivstoffe zum Einsatz. Auch hier ist Vorsicht geboten! Beispielsweise wird der Transport von Airbags gefahrgutrechtlich mit der Gefahrgutklasse 1 aufgrund der installierten Pyrotechnik eingestuft.

Unfälle und Anschläge

Das tragische Unglück in Beirut durch falschen Umgang mit Ammoniumnitrat ist kein Einzelfall. Schon in der Vergangenheit gab es mehrere vergleichbare Unfälle und auch Anschläge mit dieser Chemikalie:

  • 2020 Beirut (Libanon) schätzungsweise 2750 Tonnen, mind. 180 Tote, 6000 Verletzte
  • 2015 Tianjin (China) Industrieunfall in einem Gefahrgutlager, 173 Tote
  • 2013 Texas (USA), Explosion in einer Düngemittelfabrik, 15 Tote
  • 2004 Ryongchon (Nordkorea) Zugunglück in einem Bahnhof, 169 Tote, 1300 Verletzte
  • 2001 Toulouse (Frankreich), Explosion in Chemiefabrik, 300 Tonnen, 31 Tote, 2500 Verletzte
  • 1995 Oklahoma City (USA) Anschlag, 2 Tonnen, 168 Tote, ca. 800 Verletzte
  • 1947 Texas City (USA), Schiffsexplosion im Hafen, 2300 Tonnen, mehr als 510 Tote, Tausende Verletzte
  • 1947 Brest (Frankreich), Schiffsexplosion im Hafen, 23 Tote, ca. 1000 Verletzte
  • 1921 Oppau (Deutschland) BASF Industrieunfall, 4500 Tonnen Ammoniaksulfatsalpeter, 561 Tote, ca. 2000 Verletzte

Die richtige Einstufung

Laut der CLP-Verordnung und Umsetzung des GHS sind folgende Gefahren- und Sicherheitshinweise (H- und P-Sätze) beim Umgang mit Ammoniumnitrat (CAS-Nr. 6484-52-2) zu beachten:

  • H272 - Kann Brand verstärken; Oxidationsmittel.
  • H319 - Verursacht schwere Augenreizung.
  • P210 - Von Hitze, heißen Oberflächen, Funken, offenen Flammen und anderen Zündquellen fernhalten. Nicht rauchen.
  • P220 - Von Kleidung und anderen brennbaren Materialien fernhalten.
  • P280 - Schutzhandschuhe / Schutzkleidung / Augenschutz / Gesichtsschutz tragen.
  • P305+351+338 - Bei Kontakt mit den Augen: Einige Minuten lang behutsam mit Wasser ausspülen. Evtl. vorhandene Kontaktlinsen nach Möglichkeit entfernen. Weiter ausspülen.
  • P370+378 - Bei Brand: Umgebung räumen.

 

Ammoniumnitrat ist nach der Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (kurz AwSV) in die Wassergefährdungsklasse (WGK) 1 und somit als schwach wassergefährdend eingestuft.

Nach der TRGS 510 (Technische Regeln für Gefahrstoffe – Lagerung von Gefahrstoffen in ortsbeweglichen Behältern) ist Ammoniumnitrat in die Lagerklasse (LGK) 5.1C eingeteilt.

Bei Beförderung auf der Straße greift die Gefahrgutklasse 5 gemäß ADR.

Und je nach Zusammensetzung des Düngemittels können Betriebsbereiche schon ab einer Mengenschwelle von 10 Tonnen Ammoniumnitrat unter die Störfall-Verordnung (12. BImSchV) fallen und werden somit zu einem Störfallbetriebsbereich der unteren Klasse. Um zu einem Betriebsbereich der oberen Klasse klassifiziert zu werden, kann je nach Zusammensetzung eine Mengenschwelle von 50 Tonnen ausreichend sein.

Sylvia Häfeli| Recht

Unsere Empfehlung

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Störfallbetriebe der oberen Klasse sind gemäß § 12 der Störfall-Verordnung verpflichtet, einen Störfallbeauftragten zu bestellen und diesen der zuständigen Behörde zu nennen.

Unabhängig davon, ob ein Beauftragter gesetzlich bestellt werden muss oder nicht, raten wir jedem Unternehmen dazu, zuverlässige und fachkompetente Personen für diese Aufgaben zu bestellen, sobald Gefahrstoffe im Umlauf sind.

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